Mordsquilt

Leseprobe

Prolog


Zärtlich strichen ihre langen, gepflegten Finger über den weichen Stoff, fuhren die Applikationen nach und entfernten ein winziges grünes Fädchen. Ihre Augen ruhten zufrieden auf dem gerade fertig gestellten Block. Es würde ein ganz besonderer Quilt werden. Ein Quilt, der eine ganz besondere Geschichte erzählt. Ein Quilt, der in der Tradition der Amischen entstand. Von Hand genäht. In gemeinschaftlicher Runde, versammelt um einen großen, aus rohem Holz gezimmerten Tisch.
Sie hatten ein wenig warten müssen, bis sie vollzählig waren. Doch nun waren sie endlich wieder vereint. Alle fünf. Ein Quilting-Bee wie aus dem Bilderbuch.
Bernardine Fleurance war, selbst hier an diesem Ort, perfekt frisiert wie immer. Die silbergraue Mähne, ihr aristokratisch wirkendes Gesicht und die leicht schräg gestellten Augen ließen sie fast wie eine edle Main-Coon-Katze aussehen. Ihr französischer Akzent war da nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Sie war die graue Eminenz des Nähkränzchens. Zurückhaltend mit ihrem umfassenden Wissen über die Quilttraditionen der Amischen, einer Glaubensgemeinschaft in Pennsylvania, deren Kunst sie sehr bewunderte. Mit den Jahren war Bernardine selbst zu einer wahren Quilt- und Patchwork-Meisterin geworden.
Leise, aber sehr bestimmt, vertrat sie ihren Standpunkt ohne jemals unfreundlich oder gar zornig zu werden. Den Part hatte ja schon Maurizia inne. Die resolute, selbsternannte Chefin im Ring sprach stets aus, was sie dachte. Sie nahm dabei keine Rücksicht auf Gefühle oder Freundschaften. „Quilt ist Quilt und Prosecco ist Prosecco!“, war einer ihrer Lieblingssprüche. Selbst wenn sie in ihrer unnachahmlichen Art und Weise, die Unterarme vor dem Gesicht wie ein angeschlagener Boxer in der achten Runde, die Finger mit den Nähnadeln nur Zentimeter vor den über die Lesebrille hinwegblickenden Augen, komplizierte Stiche setzte, entging ihr nichts. Jede Bemerkung, jeder Wimpernschlag und jeder Seufzer wurde registriert und wenn nötig, voller Zynismus kommentiert. Trotz ihrer bärbeißigen Art, war Maurizia bei den anderen Quilterinnen beliebt und geachtet. Längst hatten die Damen den dicken Panzer aus Spott und Häme durchschaut und die hochsensible und kreative Frau dahinter entdeckt. Zudem war auch Maurizia Klawuttke unbestritten eine Grande Dame der deutschen Quilt- und Patchworkszene, Mitglied der Patchwork Gilde Deutschland e. V. und eines halben Dutzends weiterer Clubs und Vereinigungen. Quilts von ihr hingen auf jeder namhaften Ausstellung und waren in zahlreichen Fachbüchern abgebildet.
Monika Hemmig, genannt Nika, war mit ihren 49 Jahren das Nesthäkchen der Gruppe. Sie war das glatte Gegenteil zu Maurizia, nicht nur wegen ihrer grazilen Elfenfigur. Nika war von Natur aus freundlich und tolerant, selbst gegenüber den skurrilsten Auswüchsen der menschlichen Gesellschaft, hatte ein ansteckendes Lachen und das Quilten erst vor zwei Jahren entdeckt. Begierig probierte sie alle möglichen Techniken aus und war berüchtigt für ihre Ausdauer und ihren Ehrgeiz. In ihrer kurzen Karriere hatte sie bereits einen beachtlichen Fundus an Quilts, Tischläufern, Topflappen und Kissen produziert. Allen gemeinsam war die perfekte Abstimmung der verwendeten Farben. Eine Gabe, die wohl schon immer in ihr geschlummert hatte.
Nika war auch die Erste, welche die schillernde Jule in ihr Herz geschlossen hatte. Die fast zwei Meter große Blondine mit Oberarmen und Schultern wie kasachische Hammerwerferinnen und einer Stimme, die John Wayne zu einem Sängerknaben degradierte, war einst gebückt durch die Tür von Bernardines Stofflädchen gekommen, hatte einen traumhaft schönen Mystery-Quilt auf die Theke gelegt und gebrummt: „Das will ich auch machen.“
Der Quilt war ein Erbstück ihrer Großtante und mit das Schönste, was Bernardine jemals gesehen hatte. Obwohl das winzige Hinterzimmer ihres Lädchens mit ihr und ihren drei Freundinnen vom Nähkränzchen schon aus allen Nähten zu platzen drohte, bot sie der riesigen schmuckbehängten Frau in den edlen Designerklamotten und der weißblonden Wallemähne spontan an, sich ihnen anzuschließen. Da Julia van Hangstrathen, so ihr voller Name, ihr Recht auf Selbstzerstörung mittels Nikotin immer und überall auslebte, als sei sie Helmut Schmidt, setzte Bernardine sie unmittelbar neben die Tür. Die Statik des kleinen Häuschens in der Lorscher Altstadt hätte zudem wohl ernsthaft Schaden genommen, wenn sich Jule auf einen der hinteren Plätze auf der Eckbank durchgekämpft hätte. Frau rückte halt ein wenig enger zusammen und nur Maurizia verteidigte ihr angestammtes Revier mit ausgestellten Ellbogen und mürrischen Blicken.
Ja ... und dann gab es da noch Josefa. Klein, dünn, um nicht zu sagen dürr, in abgetragenen Öko-Klamotten, mit strähnigem grauem Haar, welches mit einem Stirnband gebändigt wurde. Es sah aus, als hätte es das gesamte Festival über im Schlamm von Woodstock gelegen. Über ihrem stacheligen Wollpullover baumelte ein Peacezeichen, groß wie das Markenzeichen eines VW-Bulli. Ihr hatten sie das alles zu verdanken. „Sie hat damit angefangen“, keifte Maurizia in schöner Regelmäßigkeit bei jedem Treffen. Josefa senkte dann immer schuldbewusst den Kopf, obwohl das gar nicht stimmte. Sie hatte ihren Mann nicht umgebracht. Alle wussten das, alle! Sogar die Staatsanwältin. Es war erst gar nicht zur Anklage gekommen. Ein Unfall. Hieb- und stichfest! Ein übles Wortspiel! Besonders wenn man bedenkt, dass der gar nicht gute Gatte durch ein Beil den Tod gefunden hatte. Und überhaupt: Wenn eine aus diesem Kreis die Spirale des Todes in Gang gesetzt hatte, dann war das Maurizia! Josefa, die Spinnen mit Marmeladegläsern einfing, um sie in ihrem winzigen Kräutergärtchen auszuwildern. Die laut Maurizia sogar ihre Silberfische adop­tierte und einem Straßenräuber noch hinterherlief, um sich zu entschuldigen, weil in ihrer Handtasche kaum Geld war. Eine Verbrecherin? Undenkbar. Niemand hätte hier mit ihr gerechnet und doch: Josefa war die Letzte aus der illustren Gilde, die ihren Platz an dem großen Eichentisch eingenommen hatte.

Zur Online-Buchhandlung

Über 450.000 Bücher online bei Waldkirch bestellen

Zum Waldkirch Verlag

Besuchen Sie direkt unseren Verlag mit regionalen Autoren und Bücher mit regionalen Themen.